Lügen haben keine Bärte

Ein Schlüsselerlebnis

ein schönes altes Türschloss in Herzform

Mir fällt noch ein ganz wundervolles Beispiel zu meinem letzten Blogartikel ein. Es zeigt so anschaulich, dass wir als erwachte Menschen wirklich gar nicht mehr in der Lage sind, anderen zu schaden. Sogar dann, wenn wir es versuchen, fällt das sofort auf uns selbst zurück. Das brauchte ich nur ein einziges Mal zu erleben – das reichte mir, um es endgültig sein zu lassen.

 

Damals wohnte ich noch nicht auf dem Land, sondern vorübergehend in der Wohnung meiner Mutter, solange sie verreist war. In ihrem Keller standen meine Umzugskisten und irgendwann hatte ich bemerkt, dass die ganze untere Reihe durchnässt war: Anscheinend war mal Wasser in den Keller gelaufen. Also schleppte ich all diese Kartons vier oder fünf Stockwerke rauf in ihre Dachwohnung, um alles auszupacken, zu waschen, zu trocknen und schön ordentlich in neue Kisten wieder einzupacken. Damit war ich bestimmt eine Woche lang beschäftigt.

 

Irgendwann, als ich gerade wieder völlig vertieft in diese Aufräumarbeit war, klingelte es an der Tür. Ich machte auf und draußen stand ein junger Typ, vielleicht ein Student. Er meinte, er wäre ein Nachbar und fragte mich, ob ich vielleicht ein Radkreuz hätte: so einen Schraubenschlüssel zum Reifenwechseln. Sein Auto hatte nämlich einen Platten und sein eigener Schlüssel war ihm leider abgebrochen. Ich überlegte kurz und wusste, dass meine Mutter sowas nicht in ihrem Werkzeugkasten hatte. Aber dann fiel mir ein, dass ja ihr Auto unten an der Straße stand. Da wäre doch bestimmt so ein Teil drin, oder? Bloß: Ich hatte überhaupt keine Lust, ausgerechnet jetzt wieder nach da ganz unten zu gehen und danach zu suchen. Also antwortete ich dem Mann spontan: „Nein, tut mir leid. Wir haben so ein Ding nicht.“ Er guckte traurig und verschwand wieder.

 

Und ich räumte weiter mein Chaos auf. Sobald wieder eine Kiste in Ordnung war, brachte ich sie gleich runter in den Keller. Die Tür für den kleinen Raum meiner Mutter war eine ganz normale Zimmertür. Sie hatte ein einfaches Türschloss, das sozusagen mit einem Metallklumpen gesichert war: Den konnte man mit einem komplizierteren Schlüssel aus dem Schloss ziehen. Das klappte auch wie immer. Aber als ich dann den einfachen Zimmertürschlüssel ins Schloss steckte, passierte etwas ganz, ganz Merkwürdiges. Ich drehte den Schlüssel herum und irgendwas stimmte hier überhaupt nicht. Ich zog den Schlüssel wieder aus dem Schloss, und – ohne das leiseste Geräusch und auch ganz ohne Widerstand, als ob der Schlüssel aus Butter wäre, hatte sich der vordere Zentimeter mit dem Schlüsselbart einfach abgedreht! Er war einfach nicht mehr da und völlig geräuschlos irgendwo in der Tür verschwunden! Was war das denn?!

 

Ich konnte nichts machen, also steckte ich das Sicherheitsschloss wieder rein. Meine Kiste schleppte ich wieder rauf in die Wohnung und dann musste ich mich gleich hinlegen. Und erst da, in der Stille, fiel mir der kleine Student wieder ein. Oh nein, das konnte doch nicht wahr sein! Dass ich noch nicht mal versucht hatte, ihm zu helfen, war wirklich gemein von mir gewesen, da gab es keine Ausrede. Wenn ich ihm wenigstens ehrlich gesagt hätte, dass ich keine Lust hatte, zum Auto zu gehen. Aber jetzt – „zur Strafe“ – war mir selber ein Schlüssel abgebrochen. Uff, das musste ich erstmal verdauen und dafür brauchte ich eine ganze Weile. Ich schämte mich und hatte ein schlechtes Gewissen.

 

Aber nachdem ich all diese Gefühle zugelassen hatte, sah ich, wie wertvoll diese Erfahrung doch eigentlich war. Damals war mir noch gar nicht klar, dass alles in meiner Realität ich selbst bin, denn mein großer Erleuchtungsmoment kam erst ein paar Jahre später. Aber dieses Erlebnis hatte mir so eindeutig gezeigt, dass all meine Erfahrungen einen guten Grund haben und nichts davon zufällig passiert. Noch nie vorher konnte ich meine Welt so deutlich bei ihrer Arbeit beobachten und es berührte mich, wie eng sie die ganze Zeit mit mir verbunden war. Also am Ende war ich glücklich, dass ich durch diese Erkenntnisse nur noch bewusster geworden war und im nächsten Moment war wieder alles in Frieden in mir.

 

Und dann stand ich auf und machte mich im Haus auf die Suche nach diesem Mann. Ich klingelte an ein paar Türen und bald hatte ich ihn gefunden. Ich entschuldigte mich tausendmal bei ihm und fragte, ob ich ihm vielleicht jetzt noch irgendwie helfen könnte. Aber er erzählte mir, dass sein befreundeter Kfz-Mechaniker den Reifen blitzeschnell gewechselt hatte. Er war mir nicht böse. Und als damit also das Schlimmste wieder in Ordnung gebracht war, kam mir plötzlich die Idee, für die blockierte Kellertür einfach mal die Zimmerschlüssel aus der Wohnung auszuprobieren. Lustig: Mit gleich zwei davon ließ sich die Tür öffnen, als ob nie was gewesen wäre. So einen Schlüssel ließ ich dann einfach für den Keller nachmachen. 

 

War das nicht ein unglaublich schlüsseliges Schlüsselerlebnis?! Es war mir eine Lehre: Dass ich nicht einfach so davonkommen würde, wenn ich mich unfair und rücksichtslos verhalten wollte. Heute weiß ich, dass meine Energie mir das deshalb nicht durchgehen ließ, weil ich es in Wahrheit selber nicht in Ordnung fand. Und dieses eine Erlebnis reichte mir: Danach war da eine richtige Sperre in mir, unaufrichtig zu sein.

 

Erst viele Jahre später, als der letzte Rasenmäher kaputtging, den Malte und ich zusammen gekauft hatten, kam ich zu dem Schluss, dass es manchmal auch eine Ausnahme geben muss: Dass es ganz selten auch mal sein kann, dass es goldrichtig ist, gemein zu sein. Und nur dann ist auch meine Energie damit einverstanden. 

     

 

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