Meine Erleuchtung

Wissen, was ich bin

idyllisches Seeufer zur Erleuchtung

Jetzt möchte ich mein Bestes geben, um dir meine eigentlich unbeschreibliche Erleuchtungserfahrung nahezubringen. Um etwas von der grenzenlosen Freude, die mich darin erfüllt hat, in dein Herz überschwappen zu lassen. Also ganz von vorne.

 

Damals, 2010, war ich 37 Jahre alt. Zu der Zeit war ich mit Stefan zusammen und wir beide wollten an diesem Tag einen kleinen Ausflug machen: Ein paar Wochen vorher hatten wir an einem Fluss ein idyllisches, verstecktes Plätzchen entdeckt und dort wollten wir jetzt eine Nacht zelten. Das war der Plan, aber es ging mir überhaupt nicht gut. Denn schon damals quälten mich Tag und Nacht Schmerzen. Und weil ich von diesen Schmerzen bestimmt noch häufiger erzählen werde, möchte ich sie dir gleich etwas genauer beschreiben. Sie sind vielleicht am ehesten vergleichbar mit den Schmerzattacken, die Migränepatienten erleben, bloß dass meine Schmerzen nicht im Kopf sind, sondern ganz oben im Rücken. Manchmal auch eher im Brustkorb oder in der Schulter oder im Nacken, und immer nur rechts. Und sobald sie auftauchen, sind sie so stark, dass einfach nichts mehr geht. Dann kann ich mich vielleicht noch eine Weile auf den Beinen halten, aber das macht die Schmerzen nur noch schlimmer, so dass ich mich bald hinlegen muss. Es gibt keine äußerliche Therapie oder Medizin, die sie lindert, aber immer wieder lösen sie sich früher oder später auf durch innere, seelische Verwandlungen. Diese Schmerzen prägen mein Leben seit meinem 33. Lebensjahr.

 

Aber jetzt erstmal zurück zu meiner Erleuchtungserfahrung und unseren Ausflugsplänen: Als mein Freund Stefan mich mit seinem gepackten Auto abholte, ging es mir mal wieder so schlecht, dass ich eigentlich hätte absagen müssen. Aber das brachte ich einfach nicht übers Herz. Ich hoffte, dass die Schmerzen sich doch noch rechtzeitig auflösen würden. So lief es manchmal, wenn mir etwas wirklich wichtig war. Aber diesmal klappte das nicht und als wir an unserem Platz ankamen, fühlte ich mich schrecklich elend.

 

Wahrscheinlich weil es mir so schlecht ging, wirkte dieser Ort dann auch ganz anders als ich ihn in Erinnerung hatte. Vielleicht einen Kilometer entfernt konnte ich eine Reihe Häuser sehen. Na super: Sobald unser Lagerfeuer im Dunkeln leuchten würde, würden die Leute dort uns sehen und doch bestimmt irgendwas dagegen haben, dass wir hier waren. Und dann war da auch noch ein Angler. Er meinte, dass dieser Platz seinem Angelverein gehörte. Wenn wir hier zelten wollten, wäre das ihm persönlich zwar egal, aber später würde uns garantiert irgendwer wegschicken. Da war ich fast erleichtert, dass wir alles abblasen könnten, ohne dass ich die Spielverderberin sein müsste. Aber Stefan dachte gar nicht daran. Er raunte mir zu, ich sollte einfach mal kurz abwarten, dann würde der Typ verschwinden und wir könnten es uns hier gemütlich machen. Ich hatte keine Kraft zu widersprechen. Also schlurfte ich los, um Holz für unser Feuer zu sammeln. Ich war froh, dass ich so noch ein bisschen für mich sein konnte und ich versuchte verzweifelt, mich irgendwie so zu beruhigen, dass meine Schmerzen sich entspannten. Aber nichts half.

 

Kurz darauf fuhr der Angler weg, bald stand unser Zelt, Stefans Angeln hingen im Fluss und er türmte ein Lagerfeuer auf. Ich saß unruhig neben ihm auf meiner Isomatte und fühlte mich so, so schlecht. Ich war verzweifelt: Mit so schlimmen Schmerzen würde ich niemals diesen Abend durchstehen. Aber aufgeben wollte ich irgendwie auch nicht. Ich war mir sicher, dass es doch eigentlich sehr schön werden konnte. Und vor allen Dingen: Wenn ich das Ganze jetzt abbrechen würde, würde ich nie wieder sowas mit Stefan planen – ich spürte, wenn ich jetzt nach Hause fahren würde, wäre einfach alles verloren. Das wäre eine neue Stufe meines Lebens mit diesen furchtbaren Schmerzen, die ich nicht mehr ertragen könnte. Dann wäre einfach alles aus.

 

Noch eine Weile versuchte ich, irgendwie ins Gleichgewicht zu finden. Und dann – gab ich auf. Ich weiß noch, ich saß da, Stefan brachte das Feuer in Gang, und ich ließ mich nach hinten auf meine Isomatte sinken. Dann holte ich Luft, um Stefan zu beichten, wie schlecht es mir in Wahrheit ging und dass wir leider, leider alles wieder einpacken und nach Hause fahren müssten. Ich wollte ihm das gerade sagen – als die Erleuchtung kam.

 

In dieser Bewegung nach hinten, als ich mich auf den Rücken fallen lassen wollte, öffnete sich plötzlich – ja, alles: Es war, als ob in diesem Moment der Himmel aufgerissen wurde. Als ob Wände, die gerade noch meine Welt begrenzt hatten, in sich zusammenfielen und sich auflösten. Als ob eine künstliche Kulisse einstürzte und die wirkliche Realität zum Vorschein brachte. Die Welt wurde auf einmal unendlich weit und groß.

 

Das alles passierte von jetzt auf gleich und ich bekam einen unvorstellbaren Schrecken: „Ach du Scheiße,“ stammelte ich – Stefan guckte nur kurz auf, aber ich hatte sowieso keinen Kopf für ihn – denn schon einen Moment später war ich nur noch überwältigt von einer unbeschreiblichen Schönheit, die ich plötzlich überall um mich herum in dieser grenzenlosen Welt erblickte. Und gleichzeitig erkannte ich – nicht mit meinen Augen, sondern mit meinem gesamten Sein – dass alles in der Welt ich bin. Alles hier war ich. Die ganze Landschaft hier – die Felder, der Fluss, die Bäume, der Himmel – einfach alles. Alles, was ich sah, alles, was um mich herum existierte. Das alles war ich selbst und außer mir war niemand da. Hier war nur ich.

 

In diesem Moment war ich mir sicher, dass ich gerade gestorben war. Nur so ergab noch irgendwas Sinn. Denn was ich hier wahrnahm, war die endgültige Auflösung aller Rätsel, die Antwort auf alle Fragen, die ein Mensch jemals haben könnte. Und so wie ein Krimi endet, sobald der Mörder geschnappt ist, war für mich klar, dass das hier der Abschluss meines Lebens sein musste – ja, der Abschluss meines Menschseins: Für mich war hier ohne jeden Zweifel alles erledigt, was ich jemals angestrebt haben könnte.

 

Aber dann spürte ich, dass ich nicht gestorben war. Darüber war ich weder glücklich noch unglücklich, es verwunderte mich nur noch mehr: Ich war also noch hier, in meinem Körper, in diesem Leben. Und ich war wirklich die Einzige hier – alles nur ich! Mein Herz schlug bis zum Hals und ich war so aufgeregt, dass ich sofort Stefan erzählen wollte, was ich da gerade Unglaubliches erkannte – aber im selben Moment merkte ich, wie unsinnig das war: Wieso sollte ich Stefan davon erzählen, wenn der doch auch nur ich selbst war?! Hier war nur ich und sonst niemand. Punkt. Also sagte ich nichts und bestaunte und genoss still für mich diese unfassbare Erfahrung.

 

Vielleicht macht es dir Angst, dass ich in Wahrheit ganz allein war? Das liegt daran, dass ich kaum beschreiben kann, wie stimmig und richtig mir alles vorkam: Endlich war alles in Ordnung. Ich fühlte mich weniger allein als jemals vorher. Denn jetzt wusste ich, dass jeder, der mich bisher hätte verlassen können, in Wahrheit niemals von mir getrennt sein konnte. Weil ja auch er ein Teil von mir war.

 

Ich fühlte mich also kein bisschen einsam. Nein, jetzt erfüllte mich ein ganz anderes Gefühl, nämlich unendliche Erleichterung: Niemand könnte mir mehr vorschreiben, was ich tun sollte oder an mir herummäkeln – denn hier war ja niemand außer mir. Wenn ich Lust hätte, könnte ich sogar richtig gemein sein! Ja, obwohl es für unser Alltagsbewusstsein unvorstellbar ist: Selbst, wenn ich jemanden umbringen wollte, würde das niemanden stören – selbst das Opfer nicht – weil einfach niemand hier war außer mir – es war unfassbar! Natürlich wollte ich das nicht – ich versuche nur, dir das Gefühl dieser absoluten Unbekümmertheit zu verdeutlichen. Sie schockierte mich richtig, weil mir jetzt schlagartig klar wurde, wie hart ich doch immer zu mir selbst war: Meistens traute ich mich noch nicht mal, jemandem eine Bitte abzuschlagen.

 

Leider ist dieser Zustand unbeschreiblich. Aber mir fällt ein Bild ein, das vielleicht hilft: Stell dir vor, du legst deine Hand in eine Wanne mit schwarzer Farbe – mit dem Handrücken zuerst, bis nur noch deine sauberen Fingerspitzen rausgucken: Bisher hatte ich meine Welt so erlebt, dass ich eine dieser Fingerkuppen bin und dass da irgendwo – getrennt von mir – noch viele andere Finger sind, mit denen ich interagieren kann. Aber jetzt wusste ich auf einmal, dass ich die gesamte Hand bin. Alles, was ich sah, war wie unendlich viele Fingerkuppen meiner eigenen Hand. Das alles war ich – ich hatte bloß die Verbindung zwischen alldem und mir bisher nicht wahrgenommen. Jetzt bildete nicht mehr mein menschlicher Körper die Grenzen meines Ichs, sondern ich war ein einziger Körper, der so riesig war, dass er alles umfasste, was in meiner Welt existierte.  

 

Ich habe schon öfters von Erleuchtungserlebnissen gelesen, in denen beschrieben wurde, dass „alles eins“ ist. Aber so nahm ich diesen Zustand nicht wahr – das sind jedenfalls nicht die Worte, die mir während meiner Erfahrung in den Sinn kamen. Denn „alles eins“ bedeutet für mich, dass ich bloß ein Teil eines Ganzen bin. Aber ich erlebte stattdessen, dass alles ich bin. Ich bin das Ganze. Da ist sonst nichts und niemand. Alle Teile bin ich. Stefan ist ich. Aber ich bin nicht Stefan. Denn da bin nur ich. Vielleicht gibt es noch andere Stefans, viele andere, in anderen Welten, die ich nicht wahrnehme und die mich auch nicht interessieren. Ich weiß nur: Dieser Stefan ist mein Stefan. Er ist nur hier, weil ich hier bin. Er ist ein Teil von mir.

 

Also auch sowas wie eine „Ichlosigkeit“, von der ich häufiger höre, wenn es um Erleuchtung geht, habe ich nicht erlebt. Sondern wirklich genau das Gegenteil: Mein Ich verschwand nicht, sondern jetzt wurde alles ich. Mir wurde in diesem Moment erst bewusst, wer oder was ich eigentlich bin – nämlich alles, was ich überhaupt wahrnehmen kann.

 

Aber zurück zu mir dort am Lagerfeuer. Ich saß also sprachlos da und dann – sah ich Richtung Himmel. Ich sah ihn, wie alles um mich herum, auf eine nie gekannte Art: Nicht als leeren Raum, sondern als einen fließenden Ozean funkelnder Moleküle, aus der die gesamte Welt bestand. Alles vibrierte vor Energie, der Himmel quoll über davon. Und diese Energie war unbeschreiblich lebendig – sie kommunizierte mit mir. Nicht durch hörbare Stimmen. Sondern viel klarer und durchdringender, als es Worte überhaupt könnten – in einem winzigen Moment war ihre Botschaft klar: All diese Energie hatte schon seit einer Ewigkeit darauf gewartet, dass ich sie wahrnahm. Und jetzt, in diesem Moment, als es endlich soweit war – platzte sie vor Freude! Wobei dieses Wort wirklich überhaupt nicht ausreicht: Dieses Meer von Energie weinte und schluchzte und flippte aus vor Freude über mich und innerhalb von einer Sekunde hatte sie im gesamten Universum die Nachricht verbreitet: „Mareike ist da!!!“ Alle Energie darin war für mich hier und nur für mich. Genau wie Stefan war auch sie nur deshalb hier, weil ich hier war. Diese Unmenge an quirliger Energie war auf ein einziges Zentrum ausgerichtet: auf mich. Sie strahlte und funkelte mich in überschäumender Vorfreude an: Sie wartete sehnsüchtig darauf, dass ich ihr sagte, was sie für mich tun durfte. Ich konnte in diesem Moment nichts entscheiden. Ich war viel zu überwältigt. Zu sehr damit beschäftigt, das alles aufzunehmen. Aber ich wusste, dass all diese Energie – meine Energie – immer bei mir sein würde und dass ich alle Zeit der Welt hätte, ihr meine Aufträge zu erteilen.

 

Und dann sah ich die Häuser hinten in der Landschaft. Inzwischen waren schon die Lichter angegangen. Und plötzlich wusste ich: Auch diese Menschen sind nur für mich hier. Sie halten Wache, so dass Stefan und ich ganz ungestört unseren gemeinsamen Abend genießen können. Auf einmal gab es mir ein so warmes und geborgenes Gefühl von Sicherheit, dass diese Häuser in Sichtweite waren!

 

Und so nahm unser Abend seinen Lauf. Es passierte eigentlich nichts Besonderes. Wir grillten, saßen die halbe Nacht am Lagerfeuer und quatschten angeregt über alles Mögliche. Aber für mich war jetzt einfach alles besonders. Ich war so überglücklich und ich genoss es unendlich, so dermaßen wach und klar zu sein. Meine Schmerzen waren seit dem Moment der Erleuchtung völlig verschwunden und in dieser Nacht schlief ich zum ersten Mal seit vielen Jahren tief und fest, mein gesamter Körper war so entspannt wie nie zuvor.

  

 

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Kommentare: 4
  • #1

    Christian (Sonntag, 19 März 2023 23:39)

    Einfach der Wahnsinn deine Geschichte.
    Ich bin 37 Jahre alt und warte schon lange auf etwas ähnliches. Seit ich auf dieser Welt bin spüre ich nichts als verdammte Schmerzen.
    Es erleichtert mich irgendwie, dass du das erleben durftest.

    Danke fürs Teilen, es gibt mir Hoffnung.

  • #2

    Mareike (Montag, 20 März 2023 07:15)

    Lieber Christian,

    oh nein, dann kennst du ja sogar noch mehr Schmerzen als ich! Du hast mein vollstes Mitgefühl und ich bin nur froh, dass du auf meine Seite gefunden hast. Ich bin sicher, dass dir meine Erfahrungen helfen, dich und deine Schmerzen besser zu verstehen. Danke für dein Feedback und alles Liebe für dich.

  • #3

    Alexandra (Dienstag, 16 Mai 2023 20:49)

    Liebe Mareike,

    ich lese deinen Bericht über deine Erleuchtung mit Tränen in den Augen und weitem Herzen. Ich freue mich sehr für dich, dass du durch diese Transformation gehen durftest.

    Seit meiner Kindheit wünsche ich mir nichts mehr als inneren Frieden, Liebe und ein Ende meiner Leiden. Ich danke dir, für die vielen Funken an Hoffnung.

    In Liebe
    Alex

  • #4

    Mareike (Dienstag, 16 Mai 2023 20:53)

    Liebe Alex,
    vielen, vielen Dank für dein herzliches Feedback! Und auch dafür, dass du dich von meiner Erfahrung so sehr berühren lässt!
    Alles Liebe dir.