Alten Kummer erlösen

In den letzten Monaten hatte ich nur wenige Coachings, aber in gleich zwei davon ging es um ein ähnliches Thema und weil das auch mich noch vor gar nicht langer Zeit beschäftigt hat, will ich heute davon erzählen. Ich muss ein bisschen ausholen, damit es deutlich werden kann.
Im Herbst war ich im Internet über einen Dirk gestolpert, dem ich spontan einen Link zu meinem neuen Blog geschickt hatte – ich dachte, er könnte ihn interessieren. Er antwortete mir mit einer längeren Mail und ich bedankte mich. Und dann, einen Tag später, passierte etwas Merkwürdiges: Ich musste ständig an diesen Dirk denken und die Gedanken ließen sich nicht abschütteln, so dass ich mich hinlegen musste. Wie immer ließ ich alles zu, was sich in mir zeigte und sehr schnell entstand ein detailliertes Bild in meiner Vorstellung. Es zeigte Dirk und seine Lebenssituation und viele Einzelheiten, die ich überhaupt nicht wissen konnte. Es war ein schönes Bild – ein heilsames Bild – aber was sollte ich damit?
Warum tauchte dieses Bild in meinem Bewusstsein auf – ich kannte diesen Dirk doch überhaupt nicht? Mir war es unangenehm, so tief in seine Angelegenheiten einzutauchen, es fühlte sich fast übergriffig an. Aber das Bild verschwand nicht und je länger ich es sah, desto mehr tat es mir weh, es für mich zu behalten, denn es enthielt eine wunderschöne und wertvolle Botschaft für Dirk – die gehörte doch eigentlich ihm und nicht mir, oder? Aber es schien mir unmöglich, ihm davon zu erzählen. Zum einen hatte er mich nicht darum gebeten. Aber vor allem wurde mir klar: Ich könnte es nicht mehr ertragen, wenn er dieses Geschenk abweisen würde. Denn solche Reaktionen hatte ich zu oft erlebt und ich spürte, dass ich keine einzige weitere Ablehnung mehr ertragen könnte. Es hatte jedes Mal so weh getan – viel zu weh. Um mich also selbst zu schützen, konnte ich dieses Risiko nicht noch einmal eingehen.
Das waren meine Gedanken, aber sie brachten keine Entspannung. So dass ich irgendwann widerwillig aufstand und entschied: Ich werde dieses Bild einfach mal aufschreiben. Vielleicht wird ja dabei deutlich, dass ich mich geirrt habe und es gar keinen Sinn ergibt. Also setzte ich mich hin und schrieb auf, was ich gesehen hatte. Aber natürlich: Dadurch wurde es nicht verwirrender, sondern nur noch klarer und eindeutiger. Es half nichts und schließlich schickte ich Dirk meine Beschreibung, mit einer ausführlichen Erklärung, wie es dazu gekommen war und einer aufrichtigen Entschuldigung, falls er damit überhaupt nichts anfangen könnte.
Danach konnte ich natürlich erst recht an nichts anderes mehr denken. Jetzt kamen meine Ängste massiv zum Vorschein und wie immer blieb mir nichts übrig, als sie so lange zuzulassen, bis sie hinter mir lagen.
Am nächsten Morgen war eine lange Nachricht von Dirk da und ich war platt: Er hatte meine gesamte Botschaft, jeden Satz davon, in sein Herz hinein gelassen – er hatte mein Geschenk angenommen! Es erschien ihm sogar wie die Antwort auf genau die Fragen, die ihn seit langer Zeit gequält hatten. Uff, ich war so erleichtert!
Für ein paar Wochen folgte ein intensiver Emailaustausch zwischen uns, den ich sehr genoss. Unsere Themen waren tiefgründig und sehr persönlich. Aber vor allem passierte etwas für mich ganz Ungewöhnliches: Ich musste weinen. Nicht über bestimmte Nachrichten, sondern weil unser Gespräch etwas zum Vorschein brachte: eine Traurigkeit, die so tief aus meinem Inneren kam, dass ich sie nicht mit Worten beschreiben kann. Immer wieder, über viele Tage, fing ich bei jeder Gelegenheit bitterlich an zu weinen und weil ich ganz allein war, ließ ich mich weinen, so oft und so viel ich wollte.
Ich war erschüttert über die Intensität dieses Gefühls – eine so abgrundtiefe Traurigkeit hatte ich noch nie in meinem Leben gefühlt und mir war vorher nicht bewusst, dass es überhaupt möglich war, einen so schweren Kummer zu empfinden. Und zu wissen, dass dieser Schmerz mein Leben lang ungehört in mir geblieben war, machte alles nur noch trauriger.
Von dieser Traurigkeit möchte ich erzählen, denn um genau die gleiche Traurigkeit ging es in den beiden Coachinggesprächen, die ich anfangs erwähnt habe.
Dadurch, dass Dirk mein Geschenk angenommen hatte, war mir bewusst geworden, wie häufig meine Gaben zurückgewiesen worden waren. Denn als ich dieses Bild für ihn in mir gefunden hatte, war das für mich nichts Ungewöhnliches gewesen. Solche Bilder tauchen regelmäßig in mir auf, fast bei jedem, mit dem ich mehr als drei Sätze wechsele. Das Gefühl, das ich dabei empfinde, kann ich kaum beschreiben – es ist, als ob ich einen unfassbar kostbaren Schatz direkt in meinem Inneren entdecke. Denn diese Bilder sind immer einerseits so klar und schlicht und gleichzeitig so heilsam. Aber vor allem sind sie randvoll mit Liebe und Wohlwollen. Immer sagen sie demjenigen, um den es geht: „Hier, nimm das. Das wird dir guttun. Danach wird es dir besser gehen.“ In diesen Geschenken steckt das Potenzial der Selbstliebe – sie machen es dem anderen leicht, die Liebe zuzulassen, die in seinem Inneren auf ihn wartet.
Nur leider habe ich sehr, sehr viele extrem negative Erfahrungen damit gemacht, meine Wahrnehmungen zu äußern. Außer bei meinen Klienten waren die Reaktionen oft vernichtend. Die ersten 30 Jahre meines Lebens führte das dazu, dass ich meine Sicht der Dinge grundsätzlich für Blödsinn hielt. Erst mit meinem seelischen Erwachen wurde mir klar, dass alles richtig mit mir ist und viele Menschen nun mal kein Interesse an der Wahrheit haben. Und dass es ihr gutes Recht ist, solche Chancen verstreichen zu lassen. Viele Menschen sind so tief verwurzelt in alten Denkgewohnheiten und sie können einfach nicht aus ihrer Haut.
Nichtsdestotrotz waren solche Reaktionen unendlich schmerzhaft für mich. Immer wieder zerriss es mir das Herz, wenn ich sah, was andere mit diesen wundervollen Geschenken machten, die ich ihnen übergab. Mit der Zeit wollte ich solche Situationen nur noch vermeiden und dafür hatte ich größtes Verständnis und Mitgefühl mit mir selbst.
Diese lebenslange Traurigkeit spürte ich nun also in mir hochkommen, als wäre ein Ventil aufgegangen. Eine Unmenge verdrängter Traurigkeit darüber, dass ich mit der vielen Liebe und
Weisheit, die ich mit in dieses Leben gebracht hatte, auf so viel Unverständnis, Ignoranz und Abwehr gestoßen war. Jetzt auf einmal konnte ich erst spüren, wie grausam das viel zu oft für mich
gewesen war. Und nicht nur für mich tat mir das so weh, sondern vor allem auch für die Beschenkten. Für ihre verpassten Gelegenheiten – einfach für die gesamte Tragik dieses
unnötigen Leids.
Ich erzähle dir davon, weil ich glaube, dass auch viele Menschen, die auf meine Webseite stoßen, diese Traurigkeit in sich tragen. Denn hierher finden Menschen, die seelisch erwacht und weit entfaltet sind und so jemand hat längst die Liebe in seinem Inneren entdeckt. Als so jemand wird in dir automatisch der Wunsch aufkommen, deinen Mitmenschen ihre eigene innere Quelle der Liebe zu zeigen – der Wunsch, ihnen das Geschenk der Selbstliebe zu machen. Und das in einer Welt, in der nur die wenigsten bereit sind, dieses Geschenk anzunehmen. Niemand macht etwas verkehrt, niemand ist schuld – aber gleichzeitig ist das sehr, sehr traurig.
In diesen Tagen, als ich so viel weinen musste, kam mir immer wieder ein Bild in den Sinn: Ich sah mich als kleines Kind, wie ich meinen Vater anstrahlte. Ich stehe vor ihm und strahle ihn an, weil ich so glücklich bin. Über ihn und über mich – über uns beide und darüber, dass wir zusammen sind. Aber in diesem Bild steht mein Vater vor mir und verzieht keine Miene.
Sein Herz und alles an ihm blieb verschlossen für meine Liebe und mit dem Rest meiner Familie erging es mir genauso. Als ich meiner Klientin gestern von diesem Bild erzählte, meinte sie, sie hätte das Gleiche erlebt. Und sie vermutete, dass das deshalb so weh tat, weil sie sich nach Anerkennung von ihren Eltern gesehnt hatte. Aber nein! Bitte glaub das nicht! Ich musste sie unterbrechen, denn das sehe ich ganz anders – ich bin mir absolut sicher: Wenn meine Webseite dich berührt, dann bist du längst nicht mehr jemand, dem es um Anerkennung von außen geht. Nein, genau wie ich bist du bereits mit dieser vielen Liebe und Klarheit in dieses Leben gekommen. Und musstest wahrscheinlich genauso feststellen, dass sie kaum jemanden interessiert. Dass fast niemand sie annehmen will. Du wolltest andere beschenken – und die Traurigkeit liegt darin, dass deine Geschenke nicht gefragt waren.
Erst heute wird mir klar: Wenn ein Mensch mit einem so großen Herzen durchs Leben geht, diese Tatsache aber alle um ihn herum völlig ungerührt lässt – dann wird so jemand früher oder später zu dem Schluss kommen, dass er wohl doch nichts zu geben hat. Dass er sich seine kostbaren Gaben eingebildet haben muss. Er kann noch so unabhängig von der Meinung anderer sein – auf Dauer muss er in so einer Umgebung den Sinn für sich selbst verlieren: für seine ganz besonderen Fähigkeiten und Eigenschaften und für die Geschenke, die er eigentlich mitbringt. Wenn also niemand annehmen möchte, was du Wertvolles zu geben hast, dann wirst du bald selbst glauben, dass es gar keinen Nutzen hat.
Und so hatte auch ich immer gedacht, dass es an mir liegt: Dass ich offensichtlich nicht genügend oder auf die falsche Art gebe, wenn niemand meine Gaben annehmen will. Und es hat fast ein halbes Jahrhundert in dieser Welt gebraucht, bis mir klar wurde: Es liegt nicht an mir. Die allermeisten Menschen sind so tief im Verstand und einfach nicht offen für das, was ich zu geben habe. Mir ging es immer darum, ihr Herz zu berühren. So dass sie es spüren und erkennen, dass es für sie schlägt. Aber meine Berührungen sind so zart und sie gehen so tief, dass andere sie auf den ersten Blick nicht erkennen – und für einen zweiten Blick machen sich die wenigsten die Mühe.
Aber es liegt nicht an mir und genauso wenig liegt es an dir. Die Vorstellung, dass etwas nicht existiert, weil es nicht mit dem Verstand sichtbar ist – sie ist nicht deins. Du weißt: Auch wenn du dafür keine Bescheinigungen vorweisen kannst und man es nicht messen kann, ist es real.
Unser Licht ist real. Es ist das Licht unseres Bewusstseins – des Bewusstseins unserer Seele und der Liebe in unserem Inneren. Unser Licht ist real und wir scheinen hell und klar und kraftvoll. Wenn andere es trotzdem nicht sehen oder nicht sehen wollen, liegt das nicht an uns.
Es geht nicht darum, irgendwen bloßzustellen oder zu beschuldigen. Nein, es geht um diese alte, tiefe Traurigkeit darüber, dass ausgerechnet die kostbarsten Geschenke abgewiesen werden. Von ihr wollte ich erzählen. So dass du vielleicht in dir auf die gleiche Traurigkeit stößt und ihr jetzt erlauben kannst, hier zu sein. Dann kannst du weinen – so viel und so lange, bis es gut ist. So dass du dadurch etwas Altes loslässt und nun frei von diesem alten Schmerz dein wunderwunderschönes Licht scheinen kannst. Nicht mehr, um irgendwen zu beschenken, sondern einfach, weil du dieses Licht bist – jetzt und hier auf der Erde.
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Stefanie (Freitag, 10 März 2023 11:46)
Liebste Mareike,
HERZlichen Dank für diese WUNDERvollen Zeilen. Ich bin gerührt. Die Tränen sind da, das Kloßgefühl im Hals ebenfalls - und gleichzeitig Erleichterung und tief empfundene Dankbarkeit.
Ich schreibe diese Worte direkt nach dem ersten Lesen. Ich werde diesen Beitrag noch viele weitere Male lesen...und jedes Mal einen anderen Aspekt tiefer verstehen und annehmen können.
"Und es hat fast ein halbes Jahrhundert in dieser Welt gebraucht, bis mir klar wurde: Es liegt nicht an mir. Die allermeisten Menschen sind so tief im Verstand und einfach nicht offen für das, was ich zu geben habe. Mir ging es immer darum, ihr Herz zu berühren." Was für eine Erkenntnis...
Danke für dieses kostbare Geschenk.
LICHT und LIEBE für Dich,
Stefanie
Mareike (Freitag, 10 März 2023 11:52)
Liebe Stefanie,
ich muss auch schon wieder weinen... ich kann gar nicht sprechen.
Danke.
Mirko (Freitag, 10 März 2023 13:37)
Liebe Mareike, ich bin heute morgen durch meine Ecosia-Suche nach „was ist meine Seele?“ : ) auf deine Webseite aufmerksam geworden - und kann seit dem nicht mehr aufhören zu lesen, obwohl das überhaupt nicht meine Art ist, vormittags Blogs zu lesen, anstatt zu arbeiten!
Ich erkenne mich in Vielem wieder und es tut mir gut zu erleben, dass ich, mit dem, was ich erlebe offensichtlich Gesellschaft habe. Ich war früher mir selbst gegenüber hart, fordernd und emotional gepanzert. Habe Vieles ausgehalten, ohne meine verletzten Gefühle und Bedürfnisse anzuerkennen. Ich habe den Eindruck, dass die nicht mit der Zeit weggehen, sondern, dass jede Träne wartet, bis sie geweint wird. Wenn ich mich wie du dann heute an Vergangenes erinnere, z.B., weil ich erleichtert erlebe, dass es mal anders läuft und mir plötzlich mein bisheriges Aushalten bewusst wird, weine ich auch sehr viel und spüre, wie es mich erleichtert, weil die aufgestauten seelischen Verletzungen endlich anerkannt werden und die Tränen fließen dürfen.
Mich so empathisch in meiner Zartheit anzuerkennen, ermutigt mich auch dazu Autonomie als etwas Positives zu erleben, gut auf mich zu achten und nicht immer zu anderen zu flüchten, wenn ich mal ein schwieriges Gefühl habe. Ich lerne dadurch Situationen aktiv mitzugestalten auch mal „Nein“ zu sagen.
Mareike (Freitag, 10 März 2023 13:52)
Lieber Mirko,
oh, da fühle ich mich aber geehrt, dass ich dich mit meinem Blog von deiner Arbeit abhalten kann! Und was du über die aufgestauten Verletzungen schreibst, spricht auch mir aus der Seele. Dankeschön!
Diana (Freitag, 10 März 2023)
Liebe Mareike, liebe Stefanie, lieber Mirko,
wir schwingen alle drei miteinander, weil wir auf einer sehr tiefen Ebene im Herzen erkannt haben, dass es unser Herzenswunsch ist, alle seelischen Verletzungen in Licht zu wandeln, damit wir diese ursprünglich mitgebrachte Lebendigkeit in uns wieder entfachen können. Ich konnte Mareikes Geschenk - ihre Gabe annehmen, um meine Sehnsucht, mich in mir zu Hause zu fühlen, mich GANZ, RICHTIG und WERTVOLL zu fühlen, zu stillen. Und damit ein Stück dieser tiefen Traurigkeit in mir zu wandeln. Und so danke ich jedem, der trotz seiner schweren seelischen Verletzungen sich wieder traut, sein Herz für die Energie der Liebe, die Energie, die wir von zuhause mitgebracht haben, zu öffnen. Ich danke euch.
Mareike (Freitag, 10 März 2023 15:34)
Und ich danke dir, liebe Diana. Und uns allen - dass wir so lange und so tapfer an uns geglaubt haben, bis wir uns endlich so sehen können, wie wir wirklich sind! Wow, was für ein Wunder, in dieser Welt!