Auf der Palme

Wut verwandeln

eine fauchende Katze

Welche Gefühle es sind, die wir im Laufe unseres Lebens verdrängen, unterscheidet sich von Mensch zu Mensch, denn wir sammeln ja alle die unterschiedlichsten Erfahrungen. Einmal las ich von einer Frau, die wie ich ihr authentisches Ich in die Welt bringen wollte und sie musste immerzu weinen. Nachdem sie den Widerstand aufgegeben hatte, flossen immer und immer wieder Tränen. Auch ich bin auf viel vergessene Traurigkeit gestoßen, aber weinen musste ich eher selten. Das Gefühl, das viel mehr mein wunder Punkt war, war Wut.

 

Während sich Stück für Stück meine Wut transformierte, hatte ich immer wieder ein intuitives Gefühl, dass sehr, sehr viele Menschen mit einem riesigen Klumpen unterdrückter Wut durchs Leben gehen. Im Rückblick kommt es mir so vor, als hätte ich auch deshalb so gründlich mit meiner Wut aufgeräumt, damit ich heute anderen Menschen helfen kann, ihre eigene Wut zu verwandeln.

 

Meine Energie lieferte mir also immer wieder Erfahrungen, die mich auf die Palme brachten. Und falls du dir nun eine tobsüchtige Mareike vorstellst – nein, so war ich ja genau nicht. Denn wenn ich mir häufiger mal erlaubt hätte, richtig auszuflippen, dann hätte sich ja erst gar keine Wut in meinem Bauch angesammelt. Ich kochte stattdessen nur innerlich, und zwar so tief in mir drin, dass ich es lange Zeit selbst nicht mitbekam. Vor meiner Erleuchtungserfahrung war ich fest davon überzeugt, dass ich das Gefühl Wut überhaupt nicht kenne, dass es mich einfach nicht betrifft. Heute weiß ich, dass es in Wahrheit der Hauptbestandteil meiner „seelischen Verstopfung“ war – dieser dicken Schicht verdrängter Gefühle, die mein echtes Ich unter sich vergrub.

 

Zwei Erfahrungen, in denen meine unterdrückte Wut ans Licht kam, habe ich als ganz besonders heilsam und einschneidend in Erinnerung. Von der ersten möchte ich dir jetzt erzählen. Die andere ist eine ganze Episode, die sich über mehrere Monate entfaltete. Um die soll es im nächsten Blogbeitrag gehen. 

 

Wenn ich diese persönlichen Geschichten von mir erzähle, geht es mir nicht darum, andere Menschen bloßzustellen. Nein, mein Fokus liegt auf etwas anderem: Aufgrund meiner chronischen Schmerzen konnte ich den Gefühlen, die meine Erfahrungen in mir auslösten, nicht ausweichen. Oft war das furchtbar quälend, aber es half nichts, es gab nur einen Ausweg: mitten durch. Und genau dort erlebte ich dann jedes Mal diese wundervolle innere Verwandlung. An diese Wendepunkte wäre ich ohne die vielen extrem unangenehmen Erfahrungen mit anderen Menschen niemals gelangt. Und so bin ich heute keinem einzigen von ihnen mehr böse, sondern gerade für diese Begegnungen empfinde ich tiefe Dankbarkeit – jede einzelne war doch letztlich ein Segen.

 

Jeder Mensch hat die Möglichkeit, auf diese Art seine Probleme und sein Leiden aufzulösen – indem auch er jede Erfahrung annimmt und die Gefühle, die sie in ihm auslöst, zulässt. Bisher wissen aber die wenigsten von diesem Weg. Sie schrecken noch vor dem Schmerz zurück und weichen ihm aus. Mit den Berichten aus meinem eigenen Leben möchte ich dich ermutigen, es einmal anders zu versuchen. Dazu erscheint es mir bedeutend, möglichst authentisch wiederzugeben, was ich erlebt habe. Damit du auf Anhieb erkennst, dass es sich dabei um ganz normale Erfahrungen eines ganz normalen Menschen handelt und dass dir also der gleiche Umgang mit deinen eigenen Erfahrungen offen steht. Darum geht es mir – nicht darum, anderen Vorwürfe zu machen.

 

Meine erste Geschichte spielt ein paar Jahre nach meinem Erleuchtungserlebnis. Ich lebte schon auf dem Land, in einem niedlichen kleinen Häuschen auf einem riesigen Grundstück. Dazu gehörte sogar ein Wald, aus dem ich mir Brennholz holen durfte. Als ich Nachschub brauchte, wollte mein Vater mit seiner Kettensäge kommen und weil er mehrere hundert Kilometer weit weg wohnte, wollte er bei mir übernachten – und das machte mir ein bisschen Sorgen. Aufgrund meiner chronischen Schmerzen war mir klar, dass ich nach so einem langen, harten Tag im Wald fix und fertig sein würde. Und trotzdem würde ich mich anschließend noch verpflichtet fühlen, eine perfekte Gastgeberin zu sein – schon der Gedanke daran erschöpfte mich. Also fragte ich meine Mutter, ob sie nicht auch Lust hätte zu kommen. Sie freute sich und wollte uns allen etwas Schönes kochen. Da kam mir spontan die Idee, auch meinen Bruder zu fragen, ob nicht auch er bei so einem seltenen Familientreffen dazu kommen wollte. Und ja! Auch er wollte gerne kommen.

 

Das alles war ganz schnell geklärt und im ersten Moment freute ich mich sehr auf diese unerwartete „Familienzusammenführung“, denn ich hatte alle drei seit Jahren kaum gesehen. Aber nur kurze Zeit später schoben sich wie dunkle Wolken Zweifel über meine Freude. Unser Treffen war noch zwei Wochen hin, aber meine Mutter hatte mir bereits angekündigt, dass sie auf keinen Fall mit meinem Vater im Auto fahren wollte, weil sie sich gerade wieder schrecklich über eine Bemerkung von ihm geärgert hatte. Dabei wohnten die beiden nur gut 30 Kilometer auseinander.

 

Ohne dass ich es verhindern konnte, drängten sich mir immer mehr düstere Gedanken auf. Ich fing an, mir unser Treffen vorzustellen: Zwischen meinem Vater und mir war es in der Vergangenheit immer wieder schwierig gewesen. Ich fand ihn oft überkritisch und mir gegenüber sehr negativ, so dass er kein gutes Haar an irgendwas und irgendwem ließ – so nahm ich ihn dann wahr. Jetzt stellte ich mir vor, wie er mein Leben kommentieren würde. Und dann mein Bruder: Wie ich ihn kannte, könnte ich auch von ihm keine Unterstützung erwarten. Und meine Mutter würde doch wahrscheinlich wie so oft ganz unangenehm anfangen, sich und alles zu rechtfertigen. Und dann ich dazwischen, die sich abmühen würde, damit trotzdem alle glücklich und zufrieden wären und eine schöne Zeit hätten.

 

Uff. Auf einmal wurde ich unendlich müde. Ich wusste, dass es nicht unbedingt so kommen musste und dass ich mir gerade nur aus irgendeinem Grund alles so düster ausmalte. Aber es half nichts – diese Gedanken drängten sich mir auf und sie ließen sich nicht mehr abschütteln. Bald wunderte ich mich nur noch, wie ich überhaupt auf die Idee gekommen war, dass so ein Treffen für irgendwen schön werden könnte? Vielleicht sollte ich lieber jetzt gleich alles wieder absagen?

 

Aber das war zumindest jetzt im Moment nicht möglich, denn diese sorgenvollen Gedanken hatten wie jeder kleinste Stress schon wieder heftige Schmerzen bei mir ausgelöst. Ich hatte mich längst aufs Sofa gelegt und konnte jetzt erst recht keinen Optimismus mehr aufbringen. Diese ganze Idee fühlte sich nur noch nach einem völlig überflüssigen Vorhaben an, das ganz klar in Frust enden würde. Was war das bloß mit mir und meiner Familie – warum musste ich mich immer wieder so schlecht mit ihnen fühlen? Alles in mir sträubte sich nur noch dagegen, dieses Treffen wirklich durchzuziehen.

 

So lag ich da, mit rasender Panik und Sorgen in meinem Kopf. Alles in mir war in Aufruhr und eine Lösung erschien mir völlig unerreichbar. Die Schmerzen, aua. Irgendwann, wie immer, konnte ich mich überhaupt nicht mehr aufs Denken konzentrieren, so dass ich aufgeben musste – ich ließ mich wehrlos überrollen von dieser inneren Lawine gruseliger Vorstellungen. Ich konnte nichts mehr tun und ich konnte nichts mehr wollen. So lag ich lange, lange da, schmerzgekrümmt auf meinem Sofa.

 

Aber dann, nach einer gefühlten Ewigkeit, stutzte ich plötzlich: Ohne dass ich es gemerkt hatte, war es auf einmal ganz still in mir geworden. Irgendetwas passierte da. Einen Moment später musste ich mich aufsetzen, denn tief unten in meinem Bauch wühlte sich etwas auf. Es war wie ein tiefes Grollen, das ein Erdbeben ankündigt. Aus meinem Bauch stieg eine riesige Welle an Energie auf nach oben. Als sie mit Wucht durch meinen Hals aus mir herausbrach, hörte ich mich innerlich mit voller Kraft brüllen: „VERDAMMT NOCHMAL!!! DIE WERDEN SICH GEFÄLLIGST ANSTÄNDIG BENEHMEN, WENN DIE BEI MIR ZU BESUCH SIND!!!“

 

Wooow! Ich war platt: Natürlich! So musste es sein – sofort wusste ich, dass das die einzig akzeptable Lösung war! Warum hatte ich sie bloß vorher nie gesehen? Ich spürte plötzlich, dass ich diese Unmenge an Wut mein ganzes Leben lang mit mir herumgeschleppt hatte. Jetzt war sie raus – was für eine unendliche Erleichterung! Sofort fühlte ich mich so viel echter und authentischer. So bin ich wirklich! Ja, und das ist goldrichtig so – das wusste ich in diesem Moment mit zweifelsfreier Klarheit.

 

Nach dieser inneren Explosion war ich absolut sicher, dass unser Familientreffen schön werden würde. Ich wusste, dass nun überhaupt alles anders werden würde zwischen mir und meiner Familie. Weil ich mich soeben verändert hatte. Ich war gerade zu einem Menschen geworden, in dessen Zuhause man sich nicht mehr daneben benehmen konnte. Und ohne, dass ich es benennen konnte, spürte ich, dass mit mir ab nun auch so einiges anderes nicht mehr möglich war.

 

Und dann, zwei Wochen später, kam meine Familie und wir hatten eine sehr, sehr schöne Zeit miteinander. Mit erfolgreicher Holzernte und fröhlichem Essen. Meine Mutter nahm mich irgendwann zur Seite und meinte: „Also Mareike, mit deinem Vater im Auto – wir haben uns richtig gut unterhalten, also das können wir gerne jederzeit wieder machen.“ Wow! Ich war begeistert!

 

Ich erzähle dir diese Geschichte, in der Hoffnung, dass sie dein Vertrauen stärkt. Dein Vertrauen in deine unguten Gefühle und vor allem in deine Wut. Wut ist nie ohne Grund da und wenn du sie zulässt, wird sie für dich Dinge zurechtrücken, die einfach nicht in Ordnung sind. Denn das ist es, was frei fließende Wut bewirkt. Wir haben bloß geglaubt, dass sie brutal und hässlich ist, dabei ist sie in Wahrheit ganz natürlich und ein genauso berechtigtes Gefühl wie alle anderen.

 

Meine Wut hat überhaupt nichts kaputt gemacht, sondern im Gegenteil sehr Schönes bewirkt: Alle haben davon profitiert, denn nicht nur für mich, sondern genauso für meine Eltern und meinen Bruder waren das zwei sehr harmonische gemeinsame Tage. So erlebe ich es immer wieder: Wenn unser wirkliches Ich ins Spiel kommt, dann ist das nicht nur für uns selbst, sondern immer auch für alle anderen das Beste.

 

Aber vielleicht fragst du dich, warum ich mich überhaupt noch gegen irgendwen behaupten musste, wenn ich doch erkannt hatte, dass ich in Wahrheit allein hier bin und alle anderen sowieso nur ich selbst sind? Weil ich auf der Erde geblieben bin. Ich hätte meinen Körper tatsächlich verlassen können in dem Moment, in dem ich diese Illusion der Trennung durchschaut hatte. Aber auf der seelischen Ebene meines Seins hatte ich offensichtlich gewählt, hier zu bleiben, um das kostbare Wissen, das ich gewonnen hatte, in die Welt zu bringen. Bloß war ich dazu als Mensch noch nicht bereit. Und welchen Nutzen hat ein erleuchteter Mensch – ein Mensch, in dessen Inneren die Wahrheit leuchtet – wenn dieser Mensch sich weigert, dieses Licht in die Welt zu scheinen?

 

In meinem menschlichen Bewusstsein existierten so viele ängstliche Überzeugungen, dass ich mich damit niemals getraut hätte, mein wundervolles Geheimnis mit der Welt zu teilen. Um meinen seelischen Wunsch tatsächlich zu verwirklichen, musste ich diese Überzeugungen loslassen – und weil ich hier als Mensch bin, mit einem natürlichen Widerstand gegenüber Veränderungen, musste meine Seele mir ein Glaubensmuster nach dem anderen mit Gewalt entreißen.

 

Felsenfeste Überzeugungen wie „Ich muss immer freundlich bleiben“ oder „Wut ist böse“ hätten es mir unmöglich gemacht, mein seelisches Vorhaben zu verwirklichen, denn bei jeder Gelegenheit hätte ich mich von irgendwem ausbremsen oder ausnutzen lassen. Vor allem meine Befürchtung „Ich darf niemandem zu nahe treten“ hätte die tiefste Wahrheit, die ich verkörpern wollte – dass sowieso alles ich bin – im Keim erstickt. All das musste ich loslassen.

 

 

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