Noch mehr Intimität

Die nächste Episode meines Liebeslebens begann nur kurze Zeit später. Als ich einmal vor meinem Haus im Blumenbeet hockte und Unkraut rupfte, hielt ein Auto direkt an der Straße. Eine Frau und ein Mann stiegen aus und kamen auf mich zu. Sie erzählten mir, dass sie für ein Magazin arbeiteten und so gerne ein Foto von meinem niedlichen Häuschen machen würden – sie hatten es im Vorbeifahren entdeckt. Ich hatte nichts dagegen und führte sie ums Haus herum. Der Mann schoss ein paar Bilder und dann – erlebte ich etwas Verwirrendes. Etwas positiv Verwirrendes.
Während wir drei noch eine Weile miteinander quatschend durch meinen Garten streiften, musste ich plötzlich aufgeregt in die Gesichter der beiden schauen. Uah! Was ist das denn – finden die das auch so verrückt?! Die gesamte Wiese war plötzlich in eine Duftwolke gehüllt. Eine so intensive, dass sie surreal war. Aber – außer mir schien tatsächlich niemand was zu merken! Der Duft war himmlisch und er kam von dem Fotografen: Der duftete intensivst nach einer Mischung aus schönsten Zutaten: Holz, Sonne, Haut, Erde, Wolle, Wald und Salz. Ich wich nicht mehr von seiner Seite und schnüffelte unauffällig so viel ich konnte von ihm auf.
Bald schlenderten wir zurück zum Haus und die beiden verschwanden wieder. Für einen kurzen Moment dachte ich: Ich hatte mich so gut gefühlt in der Nähe dieses Mannes – ob ich ihn irgendwie nochmal kontaktieren sollte? Aber im nächsten Moment spürte ich, dass mir das viel zu anstrengend war. Über all die Jahre hatten meine Schmerzen mir unerbittlich beigebracht: Was ich nicht von allein geschehen und zu mir kommen lassen kann, liegt nicht auf meinem Weg – das hatte ich wieder und wieder erfahren. Und überhaupt: War die Frau nicht vielleicht seine Partnerin gewesen? Es wirkte nicht unbedingt so, aber wer weiß – ich wollte niemanden stören. Und so vergaß ich diesen Mann auch schon wieder.
Aber dann, zwei, drei Wochen später, klingelte es abends an meiner Haustür. Ich war schon im Schlafanzug, wer war denn das? Ich kriegte nie Besuch, schon gar nicht so spät! Ich öffnete die Tür und draußen in der Dunkelheit – stand dieser Mann mit dem himmlischen Geruch!
Er kam rein und diesmal sah er ganz anders aus: grau. Und fix und fertig. Im Streit war er von zuhause geflüchtet – und dann hatte ihn irgendwas zu mir geführt! Er legte sich auf mein Sofa und wir redeten. Nicht lange, denn dann kam er zu mir, ich saß im Sessel. Er kniete sich hin und legte einfach seinen Kopf auf meinen Schoß. Alles fühlte sich zwar völlig merkwürdig, aber doch absolut richtig an und ich streichelte seinen Kopf. So saßen wir eine Weile schweigend da. Dann zog er mich auf das große Schaffell vor meinem Ofen und schon lagen wir eng umschlungen da – huh!
Das war Daniel und er und ich wurden ein Paar. Aber ihm ging es seelisch sehr schlecht und nach ein paar Wochen konnte er nicht mehr mit mir schlafen – es ging einfach nicht. Und doch offenbarte sich nun eine ganz andere Art von Intimität: Daniel musste ständig weinen. Jeden Tag, immer wieder. Ich machte nichts, außer ihn sanft an mich zu drücken. Das war einerseits tieftraurig. Aber auf eine Art auch wunderschön: Mein Herz wurde so weich für ihn und in meinem Arm hüllte ich ihn in eine dichte Liebeswolke, so viel und so lange er wollte. So lagen wir immer wieder zusammen, jeden Tag, und ich spürte, wie tragend und sicher und heilsam der Raum war, den meine Liebe ihm bereitete. Eine schier unerschöpfliche Traurigkeit hatte sich in ihm angesammelt. Und nun, hier in meinem Bett, floss sie literweise aus ihm heraus.
Das Ende dieser Begegnung kam unerwartet, nur wenige Monate später. Damals war ich tief verletzt und verwirrt. Heute kann ich es nur so formulieren: Als Daniel sich ausgeweint hatte, verschwand er genauso plötzlich, wie er aufgetaucht war. Er ging zurück in seine Ehe, die ein Albtraum gewesen sein muss – all seine Tränen hatten sich während dieser Beziehung in ihm aufgetürmt – immer wieder hatte er mir von seinem Kummer erzählt.
Mir brach es das Herz, aber ich spürte, dass „jemanden lieben“ immer bedeuten musste, dass man frei liebt: Man musste dem Geliebten absolute Freiheit zugestehen – selbst dann, wenn er sie dazu nutzte, sich selbst zu zerstören – nur das war für mich wirkliche Liebe.
Und so blieb mir nichts übrig, als mich abzuwenden. Und ich wollte nun keine Sekunde länger teilhaben am Leben dieses Mannes, der freiwillig zurück in sein abgrundtiefes Leiden gegangen war. Jetzt wollte ich nur noch mein eigenes Herz schützen und ihm diesen Anblick nicht länger zumuten.
Ich wendete mich also ab und konnte wie immer nur all meinen Kummer zulassen. Und mitten in diesem vernichtenden Schmerz wusste auf einmal ich selbst erst mit zweifelsfreier Klarheit, dass ich leben wollte. Ich wusste es in dem Moment, als ich mich nach einer Ewigkeit wieder an meine Vision erinnerte, auf die ich in meinem seelischen Erwachen gestoßen war. Mensch, ich hatte doch noch etwas vor! Jetzt sah ich, dass meine Aufmerksamkeit in den letzten Monaten so sehr um Daniel gekreist war, dass mein eigener Traum völlig aus meinem Bewusstsein verschwunden war. Meine Vision, für die ich hier sein wollte, für die ich leben wollte. Und plötzlich erschien es mir so, als ob meine Energie dieses Bekenntnis von mir eingefordert hatte – dass der Sinn dieser Beziehungserfahrung genau darin gelegen hatte, meinen Lebenswillen so deutlich zu äußern. Als brauchte meine Energie ihn als Auftrag für das Erschaffen meines weiteren Weges.
Dieser Moment bewegte mich tief und ich spürte, dass der schlimmste Kummer nun hinter mir lag. Und ganz leise bemerkte ich jetzt sogar eine Erleichterung: Daniel konnte nie richtig mit mir schlafen und ich hatte Mitgefühl und Verständnis für ihn gehabt – es wunderte mich nicht, weil es ihm einfach sehr schlecht ging. Aber nun spürte ich mich doch aufatmen: Immerhin dieses Problem brauchte mich nicht mehr zu kümmern. Jetzt erst konnte ich mir eingestehen, wie sehr es mich doch belastet hatte – die Sorge, ob sich das jemals ändern würde? Diesen Gedanken hatte ich verdrängt und nun war ich erleichtert, dass er mich nicht mehr beschäftigen musste.
Und erst jetzt konnte ich sehen, dass ich bereitwillig auch auf diese Sache verzichtet hatte, von der ich doch längst wusste, dass sie mein allergrößtes Heiligtum war. Ich hatte auch hier einen Teil von mir vergessen. Für die Zukunft entschied ich: Sowas läuft nicht nochmal. Ich möchte richtig mit einem geliebten Mann schlafen können und ich bin nicht mehr bereit, darauf zu verzichten – dieser Kompromiss war viel zu groß gewesen.
Meine Energie hatte das registriert und das Problem tauchte nie wieder auf. Und was als Nächstes Wundervolles in meinem Liebesleben passierte, erzähle ich dir im folgenden Blogbeitrag.
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