Ich fühle nichts

Wie kann das sein?

Schnecke auf Stein

Ich hoffe, dass nicht jemand denkt, dass ich hier von meinen wundervollen Erfahrungen erzähle, um damit anzugeben oder bewundert zu werden. Denn sie sollen doch nur Beispiele sein für das, was in Wahrheit in jedem von uns darauf wartet, entdeckt zu werden. Und das genau ist ja dieser große Wunsch, der so sehr in mir drängt: Ich möchte teilen, was ich Wunderschönes über mich erkannt habe, so dass das hoffentlich andere Menschen inspiriert, das Gleiche auch über sich selbst zu erkennen. Ich möchte zeigen, wie wir wirklich sind. Ich weiß, dass ich nicht alle Menschen erreichen kann. Die meisten haben wahrscheinlich gar kein Bedürfnis danach, mehr über sich selbst zu erfahren. Aber ich spüre, dass es auch viele Menschen gibt, die intuitiv wissen, dass sich für sie etwas ändern muss. Sie sind zu unzufrieden und zu unerfüllt, um ihr Leben, so wie es ist, noch länger zu ertragen. Es sind Menschen, die wachsen und sich entfalten wollen. Sie wollen etwas Neues erfahren, aber manchmal können wir einfach nicht erkennen, was dieses Neue überhaupt sein könnte. Für diese Menschen möchte ich hier sein und für sie möchte ich mein Wissen teilen.

 

Gestern habe ich mich lange mit einem Freund darüber unterhalten: mit Claudio, den ich noch aus der Schulzeit kenne. Vielleicht ist er sogar der Einzige, der meinen Blog liest, meine Webseite hat nämlich kaum Besucher. Claudios Feedback war aber sehr wertvoll für mich: Er findet es toll, dass ich meine Erfahrungen endlich mit der Welt teile, er hatte mich sogar schon öfter gefragt, ob ich sie nicht mal aufschreiben wollte, denn er findet meine Geschichten so außergewöhnlich. Aber dann ist in unserem Gespräch noch etwas deutlich geworden, das mich eher traurig gemacht hat. Claudio meinte: „Ich weiß, dass deine Texte ganz besonders sind, aber leider fühle ich mich irgendwie zu abgestumpft, so dass sie gar nicht richtig bei mir ankommen. Sie dringen nicht zu mir durch – ich lese das alles so, als ob es mich selber gar nicht betrifft. Und das liegt nicht an dir und wie du schreibst, sondern daran, dass eher mit mir irgendwas nicht stimmt. Ich kann mich einfach nur sehr selten für etwas begeistern und mein Leben fühlt sich oft so an, als ob ich unter einer Taucherglocke stecke – tut mir leid.“

 

Oh, das war traurig. Aber gleichzeitig war ich auch froh, dass Claudio so ehrlich zu mir war. Ich hatte nämlich schon manchmal genau diesen Eindruck von ihm gehabt, aber mich nicht getraut, es anzusprechen. Und jetzt war es also raus und wir haben uns noch lange darüber unterhalten, was hinter seinem merkwürdigen Dumpfheitsgefühl stecken könnte. Für mich ist ganz klar: Es ist kein Fehler. Aber es ist ein Zustand, den ich überall in der Welt um mich herum wahrnehme, auch oft bei meinen Klienten in Coachings. Und deshalb möchte ich jetzt genauer darauf eingehen. Ich möchte dir beschreiben, was meiner Wahrnehmung nach hinter diesem Zustand steckt und was ihn auflösen kann. Dazu muss ich ein bisschen ausholen.

 

Ich hatte ja in meinem letzten Blogbeitrag geschrieben, dass es für uns geistige Seelenwesen etwas ganz Unnatürliches ist, in einem menschlichen Körper zu stecken. Denn in Wahrheit sind wir grenzenlos und absolut frei. Aber trotzdem sind wir hier, als Menschen: Weil wir verstehen wollten, wer wir wirklich sind. Denn hier in dieser materiellen Welt können wir uns selbst ganz genau, sozusagen in Zeitlupe, wie in einem riesigen dreidimensionalen Spiegel selbst beobachten. So lange, bis wir uns so gründlich in allen erdenklichen Situationen rauf und runter selbst erfahren haben, bis irgendwann der Punkt erreicht ist, an dem unsere Frage „Wer bin ich?“ beantwortet ist.

 

Für mich ist dieser Moment ganz entscheidend für unsere weiteren Erfahrungen. Es ist ein Wendepunkt, hier ändert sich alles. Denn jetzt hat die Seele ihre Antwort und nun möchte sie sie in die Realität bringen: Sie möchte sie in ihrem menschlichen Körper erfahren und nicht nur in ihrer seelischen Welt davon wissen. Ich bin mir ganz sicher: Diesen Wendepunkt hat auch deine Seele erreicht, denn sonst würdest du das hier jetzt nicht lesen. Es würde dich einfach nicht interessieren, wenn es dich nicht betreffen würde.

 

Das geistige Wesen, das du bist, hat sich also an diesem Punkt völlig verändert. Jetzt ist es nicht mehr ein Wesen, das auf der Suche ist, sondern jetzt hat es gefunden, was es gesucht hat: Jetzt weiß es, wer es ist. Aber während dieser Verwandlung bewohnst du die ganze Zeit weiter deinen Körper und das ist eine große Herausforderung: Weil der menschliche Teil von dir – der Mensch, der du bist, mit deinem menschlichen Körper und deinem Gehirn – diese Veränderung nicht begreifen kann. Er ist langsam und schwer, denn er ist nicht geistig, sondern materiell. Deshalb braucht er Zeit für Veränderungen und zu große Veränderungen überfordern ihn. Ja, bei zu schnellen Veränderungen könnten ihm sogar die Sicherungen durchbrennen!

 

Kannst du dir vorstellen, wie ein menschlicher Körper reagiert, wenn diese tiefe seelische Veränderung ansteht? Er verkrampft sich. Er erstarrt, um dieses Neue zu blockieren, das ihm so völlig fremd ist. Durch diese Erstarrung versucht er, alles beim Alten zu belassen. Er hofft, dass er dadurch alles an seinem vertrauten Platz halten kann, so wie er es kennt. Die Veränderung ist zu groß und zu unbekannt für ihn, so dass er sie nicht einfach zulassen kann. Wenn du dir so einen erstarrten Körper genauer vorstellst, dann kannst du bestimmt erkennen: Darin schwingt nichts mehr. In so einem Körper fühlst du nichts mehr. Alles fühlt sich nur noch dumpf und gleich und leblos an, fast wie versteinert. Aber nicht, weil du etwas falsch gemacht hast oder weil mit dir irgendwas nicht stimmt, sondern weil das Menschliche in dir – also auch dein Verstand – versucht, mit dieser seelischen Verwandlung umzugehen.

 

Und diese Veränderung ist wirklich keine Kleinigkeit, im Gegenteil: Stell dir vor, alle Menschen wären blaue Holzbauklötze, auch du wärst so einer. Die Veränderungen, die ein Mensch bis zu dieser umwälzenden seelischen Verwandlung kennt, sehen vielleicht so aus, dass er sich in einen grünen Bauklotz verwandelt oder wenn es sein muss auch in eine rote Holzkugel. Aber das, was jetzt ansteht, ist so, als ob wir uns plötzlich, unter all den blauen Bauklötzen, in eine verspielte kleine Katze verwandeln würden! Einfach alles verändert sich, nichts ist vergleichbar mit irgendeiner Erfahrung, die wir Menschen bis dahin kennen. Und dieses große Unbekannte spüren wir mit unserem menschlichen Körper. Wir spüren, wie er darauf reagiert: Um unsere vertraute Identität zu schützen, aktiviert er einen Alarmzustand und macht zur Sicherheit komplett dicht, indem er sich versteinert.

 

Für mich steckt das hinter der Dumpfheit, die Claudio und so viele meiner Klienten erleben. Und meine Schmerzen empfinde ich als eine Extremform davon. Von Dumpfheit kann man sich aber immerhin noch ganz gut ablenken oder sie einfach ignorieren. Bei unerträglichen Dauerschmerzen geht das nicht mehr. Und deshalb musste ich bei ihnen bleiben. Ich musste ihnen zuhören und erkennen, dass etwas in mir zu Tode erschreckt ist von dieser unbegreiflichen Verwandlung, die da passiert. Und ich musste einsehen, dass es nichts bringt, wenn ich wütend auf diesen Teil von mir werde oder ihn für seine Angst verurteile. Sondern dass es nur einen einzigen Weg aus der Angst heraus gibt: mittendurch. Ich musste sie anerkennen und ihr mein Mitgefühl schenken, anstatt sie zu bekämpfen. Denn das hätte sie nur noch mehr verstärkt.

 

Wenn mein Körper sich verkrampft, verlange ich gar nicht mehr von ihm, weiter zu funktionieren. Ich nehme immer Rücksicht auf ihn und lege mich gleich hin, wenn es ihm schlecht geht. Oft mache ich uns eine Wärmflasche und wenn ich mir selbst meine warme Hand auf die Schulter lege, entspannt das meinen Körper gleich ein kleines bisschen. Und dann liege ich einfach da und lasse mein menschliches Ich ängstlich sein. Ich lasse es und bin einfach bei ihm. Ich bin einfach da, ohne irgendetwas an mir zu verurteilen. Ich weiß, dass die Veränderung, die meiner menschlichen Seite solche Angst macht, so oder so passieren wird. Aber ich dränge mich nicht und lasse diesen Teil in mir so lange ängstlich sein, wie er nun mal ängstlich ist. Früher oder später wird er sich beruhigen. Oder mein Körper wird mit der Zeit einfach so müde, dass er gar nicht anders kann, als sich zu entspannen – und dann: ist die Veränderung auf einmal da. Plötzlich erkenne ich mich selbst auf eine ganz neue Art, in einer neuen Version, auf einer neuen Stufe meiner Entfaltung. Und dann begreift auch mein Körper, dass seine Angst ganz unberechtigt war und es in Wahrheit nie eine Gefahr gab. Im Gegenteil: Jetzt sieht er, was wirklich hinter diesen unheimlichen Wahrnehmungen in seinem Inneren steckte. Das Ergebnis ist so wunderschön und erfüllend, dass er endlich beruhigt ist und seine Blockade aufgibt.

 

Meine Klienten beschreiben sich selbst oft so: „Ich fühle nichts. Ich kann nicht gut fühlen, ich bin wirklich schlecht darin. Ich konnte meine Gefühle noch nie gut wahrnehmen, darin bin ich einfach schwach.“ Aber guck doch mal: Ja, vielleicht kannst du bestimmte Gefühle in diesem erstarrten Zustand nicht spüren. Aber was ist denn mit dem Dumpfheitsgefühl an sich? Was passiert, wenn du dich genau dieser Wahrnehmung zuwendest? Wenn du ihr zuhörst? Wenn du deinen Körper fragst, wird er dir erzählen, warum er sich so verkrampft – denn er ist doch auch nur ein Teil deiner Energie. Und dann wird er dir in eurer wortlosen Geheimsprache erzählen, was los ist. Diese Sprache kannst du immer fühlen. Sogar in der Erstarrung selbst. Frag deinen Körper, was dahinter steckt, denn seine Antwort wird automatisch genau das Mitgefühl in dir auslösen, das jetzt die beste Medizin für dich ist.

 

  

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Kommentare: 6
  • #1

    Raimund (Montag, 14 November 2022 21:41)

    Liebe Mareike. Vielen Dank für einen weiteren wertvollen Artikel und deine – wie immer – schlauen Gedanken. Ich kann mich in vielem wiederfinden. Beschreibungen wie „Verkrampfung“, „Erstarrung“ oder „Stillstand“ treffen auch bei mir sehr genau zu. Allerdings habe ich das starke Gefühl, dass meine Erstarrung gar nicht vom Körper ausgelöst wird oder dass er an diesem Problem überhaupt beteiligt ist. Wenn ich dich richtig verstehe, schreibst du, dass die Seele nach Veränderung strebt (und sich auch auf jeden Fall verändern wird), aber der Körper ihr im Weg steht. Für mich fühlt sich das aber eher so an, als ob die Seele gar nicht mehr den Drang hat, sich zu verändern. Sie ist müde und resigniert, sieht keinen Sinn mehr darin, sich für irgendetwas zu begeistern oder zu engagieren. Sie will nur noch ihre Ruhe haben und sich nicht mehr mit irgendwelchen Eindrücken von außen auseinandersetzen. Auch dieser Druck äußert sich bei mir gelegentlich im Körper – zum Beispiel durch Kopfschmerzen –, aber es ist eben nicht der Körper selbst, der hier der Seele die Grenzen setzt. Vielleicht bin ich da an einem ganz anderen Punkt der Entwicklung als du.

    Dieses diffuse Erleben, seine Gefühle gar nicht wahrnehmen zu können, weder die freudigen noch die traurigen, das kenne ich auch. Sehr gut finde ich den Gedanken, sich dem Dumpfheitsgefühl selbst zuzuwenden. Das werde ich mal ausprobieren.

    Herzlichen Dank!

  • #2

    Mareike (Montag, 14 November 2022 22:35)

    Lieber Raimund,

    es ist nicht die Seele, die müde und resigniert ist und sich keinen äußeren Eindrücken mehr aussetzen will. Nein, das bist DU in deinem kleinen, menschlichen Sein, mit deinem Verstand. Und es ist dieser Teil von uns, der sich im Körper widerspiegelt, z.B. durch Spannungen, Schmerzen und Energielosigkeit.

    DU bist müde von einem Leben, in dem du alles allein regeln musst, in dem du dir dein Glück erkämpfen musst. Und damit bist du genau da, wo du sein solltest, denn bald wirst du so erschöpft sein, dass du all deine anstrengenden Versuche, dein Leben zu verbessern, aufgeben wirst. Und genau in diesem Moment des Loslassens trifft die Seele auf keinen Widerstand mehr und strömt in dich hinein, um dich zu erfüllen. So dass sie bei dir sein und all deine Probleme für dich lösen kann, an denen du dir dein Leben lang die Zähne ausgebissen hast.

    In meinem nächsten Blogbeitrag will ich genau darauf näher eingehen.

  • #3

    Felicitas Maria (Sonntag, 16 April 2023 13:51)

    Ooooooooch ~ Zu Ende

    Ich hätte zu gerne weitergelesen, weiter und weiter :))))

    Herzliche Grüße an dich,
    liebe Mareike �

  • #4

    Mareike (Sonntag, 16 April 2023 14:01)

    Danke, liebe Felicitas Maria!
    Leider klappt das mit den Symbolen hier in den Kommentaren meistens nicht. Aber deine Herzen vorhin konnte ich sehen - Danke auch für die!

  • #5

    Nadja Schlenker (Donnerstag, 25 Mai 2023 08:56)

    Ich habe keine Gefühle mehr keine Freude.Ich fühle mich nicht mehr als der Mensch wo ich früher war.

  • #6

    Mareike (Donnerstag, 25 Mai 2023 09:02)

    Liebe Nadja,
    kannst du deine Trauer über diesen Verlust fühlen? Deine Verwirrung und Ratlosigkeit und die Angst vor dieser Leere? Wenn du möchtest, helfe ich dir gerne in einem Coaching, diese Gefühle zuzulassen und zu verwandeln - käme das vielleicht in Frage für dich? Liebe Grüße.