Mein Liebesleben – Teil 2

Neu geboren

Freundschaftsarmband in rot und grün

Ich zog also ein in dieses rundum verwilderte kleine Häuschen. Die ersten Jahre befand ich mich in einem kreativen Rausch: Erst machte ich mir innendrin alles wunderschön warm und gemütlich und dann begann ich, den Garten zu lichten und zu gestalten.

 

Beziehungen, Liebe, Männer und Sex verschwanden komplett aus meinem Leben. So sehr, als hätte es sie nie gegeben. Anfangs wunderte ich mich immer wieder mal darüber – das war doch nicht normal? – aber dann hatte ich einfach keine Lust, mir darüber Gedanken zu machen. Vielleicht hatte die Zeit mit Stefan mich komplett von der Vorstellung geheilt, dass eine Beziehung unbedingt zum Leben dazugehören musste? So oder so – ich wollte mir vertrauen, dass alles schon irgendwie seine Richtigkeit hatte, selbst wenn ich den genauen Grund dafür nicht kannte.

 

Ich hatte meine Schmerzen, die mich zum Alleinsein zwangen und wenn ich ehrlich war, war ich nun tatsächlich am allerliebsten mit mir allein. Mein Häuschen war unglaublich gemütlich und alles darin war meine wunderschöne Energie – ich hatte gar kein Bedürfnis, irgendwo anders oder mit anderen zu sein. Hier war alles ich und etwas Harmonischeres konnte ich mir nicht vorstellen.

 

In den Wintern entwickelte ich zwei Hobbies – oder eher ein Doppelhobby: Ich hatte entdeckt, wie unfassbar viele Filme man sich im Internet anschauen konnte und so ließ ich mich jeden Abend stundenlang davon berieseln. Und dazu machte ich den zweiten Teil des Hobbies: Ich knüpfte Armbänder aus Baumwollstickgarn. Das hatte ich früher in der Schule viel gemacht. Und heute – mit eBay – konnte man das ursprünglich sehr teure Stickgarn für Centbeträge kriegen. Ich besorgte mir einen riesigen Schuhkarton voll davon in allen erdenklichen Farben und konnte über Monate – oder Jahre? – an kaum etwas anderes mehr denken als an das nächste Muster und die nächste Farbkombination, die ich unbedingt ausprobieren wollte. Ich träumte sogar davon und wachte mit ganz neuen Farben vor Augen auf!

 

Bald hatte ich so viele fertige Armbänder, dass ich versuchte, sie im Internet zu verkaufen. Das klappte kaum – bis auf ein Mal: Da bekam ich von einer Frau aus Hamburg einen Großauftrag und verkaufte ihr Armbänder für 1000 Euro! Bis heute habe ich noch hunderte meiner wunderschönen Armbänder aus dieser Zeit und ich hatte immer das Vertrauen, dass sich irgendwann eine perfekte Gelegenheit ergibt, sie doch noch unter die Leute zu bringen.

 

Kannst du dir vorstellen, wie gemütlich die Atmosphäre bei mir war? Mein helles, so freundliches Wohnzimmer, der warme Ofen, ein schöner Film – und ich hockte davor und knotete und knotete und knotete und war voller Freude über meine neuste Farbkombination. Ich konnte mich nicht sattsehen und weil ich nicht wirklich beschreiben kann, was es eigentlich war, das mich so glücklich machte, habe ich dir für diesen Artikel ein Bild von einem dieser Armbänder ausgewählt – vielleicht kommt irgendwas rüber?

 

Fast sieben Jahre lang war ich mit allem Möglichen beschäftigt, nur nicht mit Männern: mein Häuschen, mein Garten, die Grenzsteine, später dann meine Webseite und irgendwann meine Coachings. Das klingt alles sehr schön, aber tatsächlich waren all das nur Nebenbeschäftigungen. Denn meine Hauptbeschäftigung blieb meine Selbsterforschung, zu der meine Schmerzen mich Tag und Nacht zwangen: Die meiste Zeit verbrachte ich auf dem Sofa oder im Bett und spürte nach, was denn da so weh tat. Bis die nächste Schicht Schlangenhaut absprang und ich mich eine Zeit lang meinen beglückenden „Nebenjobs“ widmen konnte.

 

Und dann tauchte eines Tages ein kleiner Mann auf. Ich sage „klein“, weil er noch so jung war. Tatsächlich war er zwei Köpfe größer als ich! Wir waren uns in der Post begegnet, denn er arbeitete dort. Ich spürte, dass er mich interessant fand, aber ich fühlte mich unfähig, aus dieser Wahrnehmung irgendwas zu machen – ich hatte alles vergessen, wenn es um Männer ging! Und doch kriegten wir es irgendwie hin, uns zu verabreden: zum Kaffee bei mir zuhause.

 

Ich konnte es nicht glauben, ich fühlte mich wie ein Marsmensch – was musste ich tun, wie lief sowas ab? Bisher siezten wir uns, wie sollte das gehen? Als der Tag kam, war ich so dermaßen aufgeregt, dass ich mir einfach nicht vorstellen konnte, nicht in Ohnmacht zu fallen, sobald die Klingel ging. Aber dann, als es klingelte, fiel mir in letzter Sekunde eine Lösung ein, die mich zumindest bei Bewusstsein hielt – ich öffnete die Tür, versuchte, Sebastian anzuschauen und stammelte: „Bin nur ich so aufregt – oder du auch?“ Und dann sah ich ihn an und merkte, dass er sogar noch mehr kurz vorm Umkippen war als ich – es schien wie ein Wunder, dass er es überhaupt bis zu mir geschafft hatte! Ich umarmte ihn spontan und danach wurde es gleich ein kleines bisschen leichter.

 

Ich zeigte ihm mein Häuschen und wir tranken Kaffee und unterhielten uns unbeholfen über seine Arbeit und meinen Garten. Aber dann – beugte er sich zu mir rüber und küsste mich einfach. Vorsichtig und fragend. Hui! Ich war einerseits erleichtert. Bloß leider – fühlte sich der Kuss nicht schön an. Nein, sogar ganz verkehrt – was war bloß los? Das hatte ich mir doch gewünscht? Ich musste mich abwenden, um mich zu sortieren. Sebastian sah mich verunsichert an. Und dann – spuckte ich es aus: „Ich möchte dich wenn dann richtig berühren.“ Er war irritiert und fragte: „Ja, aber… du sitzt so weit weg?“ Da stand ich auf, nahm seine Hand und führte ihn in mein Schlafzimmer. Ich legte mich aufs Bett und schaute ihn unsicher an.

 

In dem Moment wurde sein Gesicht hell und glücklich und schon lag er neben mir. Und jetzt küssten wir uns richtig. Jetzt war es gut – so, so gut.

 

Was in den nächsten Stunden passierte, kann ich nicht in Worte fassen. Aber versuchen will ich es, so gut ich kann. Ich begegnete mir selbst. So nah und innig wie nie zuvor. Jeder Muskel meines Körpers löste sich, alles in mir weitete sich, als ob sich jede einzelne Zelle mit einer zärtlichen Luft füllte. Mein Körper wurde schwerelos und die Mareike, die ich bisher kannte, war nicht mehr da. Stattdessen war eine viel realere und lebendigere Version von mir in mich gekommen. Ich fühlte mich wie ein Kanal für mein wirkliches, seelisches Ich – und das füllte mich nun vollständig aus. Es wusste, was es wollte und tat was es wollte und mir blieb nichts übrig, als dieses Wunder völlig passiv zu genießen.

 

Es passierte das, was ich schon in meinem früheren Artikel beschrieben habe. Und ich hoffe, dass es bereits deutlich wurde – aber damit kein falscher Eindruck entsteht: In meiner Sexualität gibt es keine ausufernde Akrobatik oder komplizierte Verrenkungen – so etwas wäre viel zu unruhig für das supersuper Zeitlupentempo, in dem alles geschieht. Von Anfang bis Ende bleibt äußerlich alles ganz unspektakulär mehr oder weniger waagerecht. Denn das Entscheidende findet innerlich statt. Es ist so intensiv, dass ich mich allein mit einem Quadratzentimeter Haut des anderen über Stunden erfüllend beschäftigen könnte. Ich kenne nichts Beglückenderes und ich bin sicher, dass in der menschlichen Welt auch nichts Beglückenderes existiert – dies ist für mich der Himmel auf Erden.

 

Durch den Rest des Tages schwebte ich. Und ich wusste: Wenn solche Erfahrungen ein regelmäßiger Bestandteil meines Lebens wären – in meinem Körper bliebe einfach kein Platz mehr für Schmerzen. Sobald ich in diesen Liebestrance-Zustand geglitten war, hatten sie sich vollständig aufgelöst.

 

Mit meinem kleinen Freund erlebte ich allerdings direkt im Anschluss einen Schock. Ich war so selig und strahlte ihn an. Aber genau das veränderte ihn plötzlich. Er wurde kalt und abweisend und dann fragte er mich fast verärgert: „Hast du dich in mich verliebt?“ Ich verstand die Frage nicht, ich war völlig verdattert. Verliebt? Was sonst war das alles hier denn gewesen als innigste und reinste Liebe? Aber seine plötzliche Kälte verschreckte mich so sehr, dass ich gar nichts mehr sagen konnte. Als er ging, blieb ich verwirrt zurück.

 

Es dauerte viele Tage und viele Schmerzen, um zu begreifen, was passiert war: Er hatte meine Liebe nicht wahrgenommen. Und als er sie in meinem Gesicht sah, konnte er sie nur mit dem interpretieren, was er kannte: Er sah eine blind verliebte Frau, die ihn besitzen und einengen wollte. Er konnte nicht verstehen, dass meine Liebe ganz anders war, dass sie nichts von ihm verlangte, sondern nur geteilt werden wollte – weil er diese Art von Liebe nicht kannte. Und kein Wunder, er war noch so jung – 15 Jahre jünger als ich. Trotzdem tat das alles sehr, sehr weh.

 

Doch am Ende tröstete mich eine unglaublich beflügelnde Erkenntnis: Was ich da Wundervolles erlebt hatte, hatte nichts mit Sebastian zu tun gehabt. All das war in mir gewesen und aus mir gekommen. Sebastian war da, damit es in Fluss kommen konnte – damit es vom Himmel hier auf die Erde in diese Realität fließen konnte. Aber ich konnte es jederzeit mit anderen Männern wieder erleben. Es gehörte mir und niemand konnte es mir wegnehmen. Dieses eine Erlebnis hatte es zum ersten Mal in seinem ganzen Ausmaß an die Oberfläche befördert. Und gleichzeitig war das nur der Anfang, das spürte ich. Und für die Zukunft wählte ich: Nur noch Männer, die dazu fähig sind, die gesamte Tiefe meiner Liebe zu spüren.

 

Fortsetzung folgt – hier!

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Kommentare: 2
  • #1

    Katharina (Mittwoch, 15 Februar 2023 19:10)

    :)) herrlich. Die Frauen Power hat ihn verschreckt......

  • #2

    Mareike (Donnerstag, 16 Februar 2023 09:28)

    Danke! Liebe Katharina!